Il sogno di Scipione / 2006
Opera by Wolfgang Amadeus Mozart
Coproduction: Salzburg Festival and the Town Theatre Klagenfurt
Photos by ©
Cast: Blagoj Nacoski, Louise Fribo, Bernarda Bobro, Iain Paton, Robert Sellier, Anna Kovalko.
Сonductor: Robin Ticciati.
Dramaturgy:Â Sylvia Brandl.
Set and Costume designer:Â Renate Martin, Andreas Donhauser.
Stage director:Â Michael Sturminger
Noch ein Feldherr zum Kuscheln
In Kooperation mit den Salzburger Festspielen bringt das Klagenfurter Stadttheater Mozarts Jugendoper “Il sogno di Scipione” zur Aufführung: Das erst 1984 (!) szenisch uraufgeführte Werk des Fünfzehnjährigen dürfte von seinen Widmungsträgern (Hieronymus Colloredo bzw. sein Vorgänger) nie gehört worden sein. Das Fehlen einer dramatischen Handlung sowie die barocken Vorbildern entsprechende Aneinanderreihung von Rezitativen und “entschärften” Da-capo-Arien kompensiert Regisseur Michael Sturminger mit einer Fülle an szenischen Ideen:
Blagoj Nacoski als etwas schwerfälligem Scipione wird es nicht leicht gemacht, sich für eine der beiden Tugenden zu entscheiden; abwechselnd kuscheln sich die verführerischen Damen an den träumenden (?) Feldherrn, schließlich darf sich eine heftig werbende Costanza als Siegerin feiern lassen. Ständige Garderobenwechsel (vom neckischen Pyjama über sexy Dessous bis zum seriösen Nadelstreif) verlangen den Protagonisten einiges an Kondition ab. Im Sarg liegend zu singen (Publio), auch das bedarf einiger Anstrengung, “Himmelsbewohner” zum Sandspielen zu animieren, ausgeprägter Fantasie.
Bühne und Akteure – zwischen Himmel und Erde pendelnd – erscheinen im zeitgeistigen Ambiente der Yuppiegeneration. Sängerisch und darstellerisch herausragend agieren Louise Fribo (Costanza) und Bernarda Bobro (Fortuna), die den immens schwierigen Koloraturen jederzeit gewachsen sind. Iain Patons Publio sowie Robert Selliers Emilio erklingen solide.
Das Kärntner Sinfonieorchester erweist sich als homogener Klangkörper, der vom jungen Dirigenten Robin Ticciati zu einigen Derbheiten verleitet wird. Die unkonventionelle, aber stets schlüssige Interpretation eines nahezu unbekannten, mit beeindruckenden Gesangsleistungen garnierten Frühwerks erweist sich als szenischer Glücksgriff!
– bay, “Der Standard” 28.03.2006
Chapeau vor Klagenfurt! Das hatte eigentlich niemand erwartet. War doch das Kärntner Stadttheater als gastierendes Schlusslicht im Salzburger Mozart-Komplett-Reigen belächelt worden. Doch die Metastasio-Geschichte vom Feldherren Scipio erwies sich in der gewitzten Regie von Michael Sturminger als schwebend boulevardeske Unterhaltung.
Ein jugendlicher Schlurf wird hier von zwei leicht geschürzten, freilich schier endlos zwitschernden Damen zum flotten Dreier ins Luxushotel-Doppelbett gezerrt. Bis plötzlich die komplette Verwandtschaft neugierig die cremefarbene Suite bevölkert. Moralisierende Arienketten lösen sich augenzwinkernd in Slapstick-Perlen zwischen Kuchengemampf, Sandkastenspiel und Koloraturorgasmus auf. Da sah plötzlich so manches hohl tönende Konzepttheater und die teure Design-Ödnis aus dem Salzburger Hauptprogramm ziemlich alt aus.
Gesanglich herrschte bei zwei der drei Männer dann doch Klagenfurter Stadtheater vor, doch auch das gilt für so manche vorgebliche Goldkehle auf anderen Salzach-Bühnen. Dafür gereichten Louise Fribo (Costanza), Bernada Bobro (La Fortuna) und Anna Kovalko (La Licenza) mit irisierendem Timbre und geläufiger Gurgel ihren eigentlich faden Rollen zur Zierde. …
Die Klagenfurter hatten mit dem 23-jährigen Briten Robin Ticciati nicht nur den jüngsten Taktschläger der Festivalgeschichte als As im Ärmel. Ruhig und unaufgeregt formte er mit dem sauberen Orchester einen plastisch fließenden, atmenden Mozart-Klang, hell und flexibel, ohne Übertreibungen, die die fadendünne Partitur kaum verkraftet hätte.
-MANUEL BRUG, “Die Welt” 31.08.2006
Das Biederweib und die Brandstifterin
Die Klagenfurter Inszenierung der Mozart-Oper “Il sogno di Scipione” sorgt als Koproduktion auch bei den Salzburger Festspielen für Vergnügen.
Inszenierung. Michael Sturminger hat die “Azione teatrale” als vergnügliches Lehrstück inszeniert. In der “Traumdeutung” des Wiener Regisseurs wird Scipione, dem zunächst die Tugendgöttinnen und dann die Familie und andere Feinde aus der Vergangenheit erscheinen, zu einer Art Warmduscher von heute. Sein untoter Vater zieht dem ewigen Kind die Ohren lang, Brandstifterin Fortuna versucht ihn für das schnelle Glück der Prosecco-Fraktion zu entflammen, die Biederfrau Constanza lockt mit Krawattenbinden und Kinderkriegen.
Junges Ensemble. Die Inszenierung in einer gülden-weißen Nobelsuite (Bühnenbild: Renate Martin & Andreas Donhauser) lebt neben kecken Slapsticks von der Spielfreude des jungen Ensembles, in dem Anna Kovalko, Iain Paton und Robert Sellier in den Nebenrollen punkten. Die spritzige Bernarda Bobro als Vamp Fortuna und die weichere Louise Fribo als Constanza meistern ihre Koloratur-Kaskaden mit Bravour, während Blagoj Nacoski (Scipione) leider einige Hürden im halsbrecherischen Tenor-Parcour wirft.
Robin Ticciati darf sich “jüngster Dirigent der Festspielgeschichte” nennen. Der 23-Jährige fand vor den Ohren seines Förderers Sir Simon Rattle eine feine Balance zwischen Lyrik und Dramatik, der das Kärntner Sinfonieorchester ambitioniert folgte.
Jubel für eine leichtfüßige und doch nicht un(ge)wichtige Produktion, für die eine Kärnten-Abordnung noch am Applausometer drehte.
-MICHAEL TSCHIDA, “Kleine Zeitung” 9.08.2006
Salzburger Mozartiaden
…so war es selbstverständlich, dass auch dieses Bühnenwerk des 15-Jährigen im Jubiläumsjahr 2006 als Festspielpräsent in Mozarts Geburtsstadt figurieren würde: nun in einer rundum geglückten, ansprechenden, ja gewitzten szenischen Wiedergabe mit Künstlern des Stadttheaters Klagenfurt in der theatermäßig hergerichteten Salzburger Universitätsaula.
… So sind dies in Michael Sturmingers Inszenierung keine falben Allegorien, sondern kernige erotische Wunschobjekte: die vamphafte Fortuna (warm timbriert: Bernarda Bobro) und die penible Hausfrau Costanza (virtuos: Louise Fribo). Im komisch-erbitterten Streit um die Seele des Mannes erweisen sich die beiden Prinzipienreiterinnen als gleichermaßen korrupt, so dass eine dritte Siegerin wird: die in dieser Aufführung zunächst als unscheinbares Dienstmädchen eingeführte Licenza (lieblich: Anna Kovalko). Das szenische Arrangement gibt sich temperamentvoll-unbeschwert bis zur Albernheit – Groteskauftritt der Autoritätsperson Publio (vokal machtvoll: Iain Paton) im Rollstuhl, später sein singender Abgang im Sarg. Aber das passt keineswegs schlecht zum jungen Mozart. Das Bühnenbild von Renate Martin und Andreas Donhauser zeigt ein Interieur wie zu einem durchschnittlichen Boulevardstück im Londoner Westend, genau der richtige komödiantisch belebbare Rahmen zu dem Opus, das lange als eine mit Verschrobenheiten befrachtete Unaufführbarkeit verkannt wurde.
Musikalisch lässt es auf Schritt und Tritt die Rasanz und das Selbstbewusstsein eines aufbrechenden jungen Tonsetzers erkennen, unbegrenzt in der Entfaltung ausfahrender Expression, auch in der Formulierung halsbrecherischer sängerischer Schwierigkeiten und Exaltationen. Das betrifft auch die tenorale Titelpartie, die von Blogoj Nacoski mit erstaunlicher Brillanz gemeistert wurde. Mit dem Chor des Theaters Klagenfurt und dem zu Höchstspannung konditionierten Kärnter Sinfonieorchester musizierte der junge Dirigent Robin Ticciati schwung- und hingebungsvoll.
– HANS-KLAUS JUNGHEINRICH, “FR online” 24.08.2006
Zugegeben, es gibt noch packendere Plots. Aber Michael Sturminger, österreichischer Opernregisseur und neuerdings auch ein international wahrgenommener und ausgezeichneter Filmemacher, hat allerlei Ideen investiert, die das Zuschauen g’spaßig machen. Auf Luis Buñuel bezieht sich Sturminger, er setzt die Geschichte mit surrealistischem Einschlag und einem gehörigen Schuss Spießbürgerkritik um.
Die szenische Aufführung im Rahmen von “Mozart 22” war von einer Qualität, die unterm Jahr auf jeder städtischen Bühne ihre Abnehmer findet.
Durchwachsen.
– REINHARD KRIECHBAUM, “Wiener Zeitung” 22.08.2006
“Il sogno di Scipione”: gefeierte Aufführung
Mozarts Jugendoper “Il sogno di Scipione” ist bei den Salzburger Festspielen am Freitag in der Aula überschwänglich gefeiert worden.
Scipione muss sich entscheiden, zwischen Costanza, der Beständigkeit, und Fortuna, dem Glück.
Wie immer die Wahl ausgeht, der römische Feldherr wird mit Koloraturenfeudigkeit, weiblichen Reizen und eindeutigen sexuellen Angeboten versorgt sein: Denn so zeigt Regisseur Michael Sturminger die beiden Göttinen, die Scipione umwerben.
Junger Dirigent musiziert mit viel Schwung
Es ist beim Inszenieren offenbar einfacher, unter den Konventionen so tief zu graben, dass man auf Situationen aus dem heutigen Leben stößt. Der britische Dirigent Robin Ticciati, 23 Jahre jung, geht mit dem Kärtner Sinfonieorchester mit ebenso viel Schwung und Unbekümmertheit an das noch recht starre Werk heran.
Er findet Spuren von Wut und Verzweiflung, bleibt aber sonst doch noch ziemlich an der musikalischen Oberfläche. So macht die Szene das Spiel, zeigt Scipione als Muttersöhnchen, der auf die ihn umsorgende Costanza hereinfällt.
Diese trinkt und tobt und macht sich letzlich mit Safeinhalt und den beiden Kindern davon, ganz unbeständig. Auch das Glück hat ihn verlassen und noch den Rest des Hausrates mitgenommen. Bleibt nur noch eine ausgestellte Hundigungsszene als Theater auf dem Theater. Es gab viel Beifall von allen Seiten.
– EVA HALUS, “ORF” am 19.08.2006
Salzburg – Wer vermag sich für den Weg nach der versprochenen Trias von Ehre, Ruhm und Geld schon leichten Herzens zwischen Glück und Beständigkeit zu entscheiden? Vollends unmöglich scheint dies, wenn die Alternativen durch zwei so attraktive weibliche Wesen verkörpert werden, wie sie dem träumenden Scipione in der Inszenierung des Mozart schen Frühwerks durch Michael Sturminger erscheinen. Doch die beiden jungen Sopranistinnen Bernarda Bobro und Louise Fribo sind bei weitem nicht die einzigen Gründe, warum die Koproduktion mit dem Stadttheater Klagenfurt bei ihrer gestrigen Salzburger Festspiel-Premiere in der Großen Universitätsaula ein Erfolg wurde.
Sieht man diese Aufführung, die mit szenischem Einfallsreichtum, teilweise äußerst hörenswerten Stimmen und einem erfrischenden Dirigat bereits im März in Klagenfurt überzeugte, kann man nur hoffen, dass diese Nummer acht aus dem Werkkatalog der “Mozart 22”, künftig häufiger aufgeführt wird.
Kostüm-Mummenschanz und Römer-Toga gibt es in der Ausstattung von Renate Martin und Andreas Donhauser nur als ironischen Seitenhieb. Ansonsten transferiert Sturminger das Tauziehen zweier Frauen um die Gunst eines Mannes (Blagoj Nacoski ist als Scipio mehr Riesenbaby denn Helden-Nachwuchs) mit viel Witz vom Allegorischen ins Alltägliche, von der Antike ins Heute.
Bernarda Bobro gibt als temperamentvolle, dralle, schwarzhaarige Fortuna die Fleisch gewordene sinnliche Versuchung und erweist sich mit ihrem kräftigen Sopran auch in den Höhen als sicher. Die Dänin Louise Fribo ist ein hübscher Gegensatz, eine blonde Costanza, die an dem Umworbenen immer wieder fürsorglich herumnestelt.
Am Ende, hier verändert Sturminger augenzwinkernd die Vorlage, entscheidet sich Scipione nicht für Costanza, sondern für eine dritte: Für Licenza, die die längste Zeit als Hausmädchen nur stumm agieren darf, ehe Anna Kovalko unter Beweis stellt, dass sie ihren Kolleginnen an Talent um nichts nachsteht. Die Herren können den Damen an diesem Abend stimmlich wie darstellerisch nicht das Wasser reichen. Neben dem ziemlich blassen Scipione agiert Robert Sellier als sein Vater sehr unauffällig und Iain Paton spielt den greisen Publio im Rollstuhl zwar kunstvoll zittrig-tattrig, lässt jedoch die Frage offen, ob seine gesanglichen Unsicherheiten Teil seiner Rollengestaltung sind.
Das Kärntner Sinfonieorchester brauchte sich an diesem Abend nicht verstecken, musizierte herzhaft und ambitioniert. Am Pult stand der 23-jährige Londoner Robin Ticciati. Vor den Augen seines Mentors Simon Rattle feierte er als jüngster Dirigent der Geschichte sein Salzburger Festspieldebüt. Dass die Musik zwar ansprechend und unterhaltsam ist, aber selten zu echten Höhepunkten findet, schmälerte den Genuss kaum – ein Frühwerk, gewiss, aber eines von Mozart!
Nach knapp zwei Stunden gab es am Ende langen, herzlichen Applaus für alle Beteiligten und glückliche Gesichter auf der Bühne, im Orchestergraben und auf der Zuschauertribüne.
– WOLFGANG HUBER-LANG