Jedermann / 2021
Neuinszenierung
Sa 17. Juli 2021 – Do 26. August 2021
14 Vorstellungen
Nach fast 700 Vorstellungen in einem knappen Jahrhundert ist der Jedermann zentraler Bestandteil der DNA der Salzburger Festspiele und schreibt seine Historie in einem fort: ein singulärer Vorgang im deutschsprachigen Theater.
Konzipiert als Wiederbelebung einer mittelalterlichen Moralität nach dem Vorbild des englischen Everyman, angereichert durch Hecastus von Hans Sachs und andere Quellen, schreibt Hofmannsthal über Jahre in einem Europa der kulminierenden Konflikte an seinem Jedermann. Im Kopf immer eine mögliche Umsetzung durch Max Reinhardt: „Trug man, mit vergehenden Jahren, das Wesentliche dieses dramatischen Gebildes stets in sich, zumindest im Unterbewusstsein, so regte sich allmählich Lust und Freiheit, mit dem Stoff willkürlich zu verfahren. Sein eigentlicher Kern offenbarte sich immer mehr als menschlich absolut, keiner bestimmten Zeit angehörig, nicht einmal mit dem christlichen Dogma unlöslich verbunden; nur dass dem Menschen ein unbedingtes Streben nach dem Höheren, Höchsten dann entscheidend zu Hilfe kommen muss, wenn sich alle irdischen Treu- und Besitzverhältnisse als scheinhaft und löslich erweisen, ist hier in allegorisch-dramatische Form gebracht, und was gäbe es Näheres auch für uns?“ Das Wagnis, das Hofmannsthal hier explizit beschreibt, frei mit dem Stoff zu verfahren, und seine thematische Rückführung, die weder zeitlich noch dogmatisch gebunden ist, bilden das ideologische Kraftzentrum des Jedermann.
„Im Kern stellt der Jedermann die Frage: Was passiert, wenn der Tod in das Leben tritt? Der Tod ist in unserer Kultur so sehr verdrängt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Wir versuchen, uns zunehmend von unserer Endlichkeit abzuschotten und uns möglichst wenig damit zu konfrontieren, aber trotzdem ist letztlich allen klar: Um ein bewusstes Leben zu führen, ist es notwendig, einen reflektierten Zugang zum Tod zu finden. Das gehört grundsätzlich zum Leben dazu. Der Mensch muss sich irgendwann mit dem Tod auseinandersetzen; er wird dieser Konfrontation nicht entgehen. Das Mysterium, das dieses Rätsel vom Tod des Menschen und seiner Begegnung mit dem Tod umgibt, existiert in allen Religionen und Kulturen. Und seit Menschen singen und schreiben, Kunst und Bilder produzieren, beschäftigt sie dieses Thema.
Unsere Inszenierung zielt auf eine zeitgenössische Lesart. Wir holen die Menschen in der Gegenwart ab und versuchen, sie mit einer Geschichte zu berühren, die zu jeder Zeit große Relevanz hat. Es gibt im Jedermann, abgesehen vom Stil der Sprache, wenige Hinweise auf die Zeit. Hofmannsthals Sprache, die aus der Wende zum 20. Jahrhundert stammt, kreiert ein Kunstmittelalter, etwas Klassizistisches, eine Nachschöpfung eines anderen Stils, die natürlich viel über ihre eigene Zeit aussagt. Mit der Figur des Jedermann, die Hofmannsthal auf den reichen Mann zugeschnitten hat, spezifiziert er diesen Menschen. So wird sein Jedermann zum ,Spiel vom Sterben des reichen Mannes‘. Trotz dieser Definition steht Jedermann für alle Menschen, weil alle Menschen sterben müssen, wobei es dem Hofmannsthal’schen Jedermann besonders schwerfällt, sich vom Weltlichen zu trennen. Das ist die Zuspitzung.
Auch wenn sich Hofmannsthal stilistisch ins Mittelalter schreibt, steht er doch an einem ganz anderen Punkt der Literaturgeschichte. Mit Max Reinhardt hatte er zudem einen extrem starken Theatermacher an seiner Seite, der — wie Stanislawski zur selben Zeit in Russland — die Entwicklung des neuen Berufsbildes eines modernen Regisseurs prägte. Erheblichen Anteil am Erfolg des Jedermann in Salzburg hatte beim Spiel auf dem Domplatz die direkte Konfrontation des Theaters mit der Kirche, die auch die letzten Dinge verhandeln will, also die Begegnung zwischen Profanem und Spirituellem. Mit dem Domplatz fand Reinhardt einen Ort, wo er diese Pole aufeinanderprallen lassen und für sich eine ganz große Theatralik entwickeln konnte.“
Michael Sturminger
© SF / Matthias Horn
Michael Sturminger Regie
Renate Martin, Andreas Donhauser Bühne und Kostüme
Wolfgang Mitterer Komposition
Jaime Wolfson Musikalische Leitung
Urs Schönebaum Licht
Angela Obst Dramaturgie
BESETZUNG
Edith Clever Tod
Lars Eidinger Jedermann
Angela Winkler Jedermanns Mutter
Anton Spieker Jedermanns guter Gesell
Jörg Ratjen Ein armer Nachbar
Mirco Kreibich Ein Schuldknecht / Mammon
Anna Rieser Des Schuldknechts Weib
Verena Altenberger Buhlschaft
Gustav Peter Wöhler Dicker Vetter
Tino Hillebrand Dünner Vetter
Ensemble Werke
Kathleen Morgeneyer Glaube
Mavie Hörbiger Teufel
Ensemble 021
The New York Times [29.07.2021]
Frankfurter Rundschau [25.07.2021]
Frankfurter Rundschau [23.07.2021]
nachtkritik.de [21.07.2021]
Kurier.at [19.07.2021]
Der Standard [18.07.2021]
ORF.at [18.07.2021]
DrehPunktKultur [18.07.2021]
Der Standard [17.07.2021]
Wiener Zeitung [17.07.2021]
Tiroler Tageszeitung [ ]
Die Presse [14.07.2021]
Der Standard [11.07.2021]
Ö1 [07.07.2021]
Salzburger Nachrichten [07.07.2021]
„Ein Lebenstraum geht in Erfüllung“
Im Gespräch mit Lars Eidinger
Herr Eidinger, worin liegt der Reiz der Rolle des Jedermann?
Es ist die Erkenntnis, die ich in der Auseinandersetzung mit Brecht’s Dreigroschenfilm gewonnen habe, dass die Räuber laut Brecht keinem romantisch verklärten Bild einer Gangsterbande entsprechen dürfen, sondern die Bürger selbst sind. Wir sind die Räuber.
Jedermann. Diese Herangehensweise fordert mich heraus. Ich hatte insgeheim immer gehofft, irgendwann für die Rolle des Jedermann angefragt zu werden, – und die Tatsache, dass ich mich damit nun in die Ahnengalerie der größten deutschsprachigen Theaterschauspieler einreihe, ist eine große Ehre, die mir zuteil wird. Ich bin dafür sehr dankbar. Es ist ein Lebenstraum, der in Erfüllung geht.
Warum wird – Ihrer Meinung nach – der Jedermann seit 1920 so erfolgreich aufgeführt?
Es ist ein Klassiker. Was einen Klassiker ausmacht, ist die Tatsache, dass die Konflikte, die verhandelt werden, immanent sind. Das hat auch eine Tragik. Es sind Konflikte, die für den Menschen unüberwindbar bleiben, die ihn ausmachen. Wir werden die Zeit nicht erleben, in der Konflikte wie jene in Othello, Hamlet, Peer Gynt oder eben in Jedermann keine Brisanz oder Aktualität mehr haben. Die Konflikte im Jedermann sind universell und elementar. Der Mensch wird in all seinen Facetten und Abgründen durchleuchtet. Es ist ein Spiegelkabinett oder -labyrinth, an dessen Ende der Spiegel selbst in den Spiegel sieht. Es lädt den Zuschauer ein sich darin zu erkennen. Und darum geht es in der Kunst um Selbstreflektion und Erkenntnis. Wir sind Jedermann.
Wenn Sie sich die bisherigen Jedermann-Schauspieler anschauen, gibt es da einen, den Sie besonders inspirierend finden?
Als Jedermann gesehen habe ich nur Nicholas Ofczarek auf dem Domplatz und Tobias Moretti in der Aufzeichnung. Und obwohl es viele herausragende Schauspielerpersönlichkeiten in der Reihe der Jedermann-Darsteller gibt, ist für mich Gert Voss der Größte. Ich hatte das Glück, ihm in Thomas Ostermeiers Inszenierung von Maß für Maß zu begegnen, die 2011 bei den Salzburger Festspielen Premiere feierte. Er war ein Jahrhunderttalent. Der Begriff „Genie“ ist sehr abgedroschen und wird meines Erachtens viel zu leichtfertig und inflationär gebraucht, auf Gert Voss passt er. Er hatte eine ungeheure Kraft im Ausdruck, etwas von dem man glaubte, es sei unerschöpflich. Immer hatte man das Gefühl, so intensiv und kraftvoll seine Darstellung auch war, man bekomme dabei nur die Spitze des Eisbergs zu sehen. Und er hatte, so wie ein Musiker über das perfekte Gehör verfügen kann, das absolute Gespür für das Verhältnis von Aufwand und Wirkung. Das verlieh ihm seine unbedingte Glaubwürdigkeit.
Fängt man bei so einer Rolle, in der es um Leben und Tod geht, an über das eigene Leben nachzudenken?
Darauf freue ich mich tatsächlich am meisten. Das ist ja eines der größten Privilegien, die man als Schauspieler hat. Dass man sich diesen Fragen stellt. Ich habe jetzt über 350 Mal Hamlet gespielt und mir immer wieder die Frage „Sein oder nicht sein“ gestellt. Es gibt keine elementarere Frage. Ich würde sogar so weit gehen, dass es das erste Zitat ist, das einem einfällt, wenn man an Kunst im Allgemeinen denkt. Es gibt darauf im Leben keine Antwort,außer „Sein oder nicht sein“. Leben heißt diesen Widerspruch aushalten. Das macht die Bewegung des Lebens aus. Der Tod ist Stillstand. Daher lautet Hamlets letzter Satz auch „Der Rest ist Stille“ – nicht „Schweigen“ wie es bei Schlegel fälschlicherweise übersetzt ist.
„Silence“ braucht keine Anwesenheit im Gegensatz zu „Schweigen“. Mit Stille ist ein paradiesischer Zustand gemeint. Das sind Gedanken und Erkenntnisse, die ich über die Auseinandersetzung mit Hamlet gewonnen habe – und ich bin sehr gespannt, was mir Jedermann erzählt.
Sie haben 2011 in William Shakespeares Maß für Maß Ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen gegeben. Welche Erinnerungen haben Sie an Salzburg?
Ich erinnere mich, wie Birgit Minichmayr mich in brütender Hitze auf den Domplatz eingeladen hat, wo Nicholas Ofczarek den Jedermann gab. Ich erinnere mich, wie ich mit meiner Frau immer noch Sturm auf der Perner-Insel gesehen habe – mit dem einstündigen Monolog von Jens Harzer am Ende – und wie wir im Gewitter in die Stadt zurückgeradelt sind. Ich erinnere mich, wie ich Anna Prohaska auf der Straße kennengelernt habe. Wie ich mit meiner Tochter Fiaker gefahren bin. Hans-Christian Schmid mich besucht hat. Dieses Jahr war für mich so intensiv und voller unvergesslicher Erlebnisse, dass ich es immer in meinem Herzen tragen werde.
Ihre Buhlschaft wird von Verena Altenberger gespielt. Sie kennen einander bereits. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit?
Ich habe sie bei den Dreharbeiten zu David Schalkos Adaption von M – Eine Stadt sucht einen Mörder kennengelernt und das Gefühl gehabt, wir suchen nach dem gleichen. Sie ist eine sehr freie Spielerin, die sehr über den Partner geht. Auch ich bin immer stark vom Gegenüber abhängig, und ich glaube, dass man mit ihr sehr weit gehen kann, weil wir uns vertrauen.
Oft wird die Buhlschaft hauptsächlich mit Sinnlichkeit, Verführung und Erotik assoziiert… Was ist die Buhlschaft für Sie?
Georg Trakls Ideal war die Gleichgeschlechtlichkeit. Die Theorie, dass der Grund allen Übels auf der Welt die Trennung in zwei Geschlechter ist. Deshalb ist der Begriff „sex“ im Englischen so treffend, weil er sowohl die Unterscheidung in die Geschlechter beschreibt, als auch den Geschlechtsakt. Ich glaube, dass die Buhlschaft und der Jedermann ein Ganzes ergeben.
Mit welchen Ideen gehen Sie in diese Inszenierung?
Es gibt ein schönes Zitat von Helene Weigel: „Hast du eine Idee, vergiss sie“.
Freuen Sie sich auf die Zusammenarbeit mit Michael Sturminger?
Er ist ein ungeheuer freier Geist und hat einen sehr zugewandten, offenen und liebevollen Blick. Für mich ist das ganz wichtig, denn nur dann kann ich mich auch zeigen. Es macht großen Spaß, sich mit ihm auszutauschen, weil er viel weiß, aber sein Interesse am Gegenüber nicht verloren hat. Ich schätze ihn so ein, dass er mutig im Ausprobieren ist und empfänglich für Neues. Darauf freue ich mich.Â